Der Zeitungsartikel „Retro-Terroristen“ von Tanja Dückers erschien am 23.09.08 auf Zeit Online. Dückers kritisiert darin die heutige Auseinandersetzung der Deutschen mit dem Terror der RAF. Da dieser ungefährlicher und überschaubarer gewesen sei als der heutige Terror aus dem nahen Osten, haben die Deutschen (mal wieder) ein Thema aus ihrer Geschichte gefunden, das in Zeitungen und Magazinen auseinander genommen werden kann.
Dückers kritisiert zuallererst die enorme Präsenz der RAF in den Medien. Weltkrisen wie der Krieg im Kaukasus, Probleme in Südafrika oder der Milchpulver-Skandal in China werden beiseite geschoben. Grund hierfür seien unter anderem ein Gefühl von Geborgenheit und „Nestwärme“ (Z. 13), das die RAF bei den Deutschen auslöst.
Gründe hierfür seien das enorme Wissen der Deutschen über die RAF. Elternhaus, Vorlieben und der Werdegang der Terroristen sind bekannt. Die Mitglieder der RAF agierten nicht in der globalisierten Welt, sondern als deutsche Staatsbürger in der überschaubaren Bundesrepublik.
Ein weiterer Grund für das enorme Interesse der Deutschen an der Terrororganisation sei das Motiv, das die Mitglieder der RAF zu Terroristen machte: Ihre Argumente (Klassenkampf, der Protest gegen den Vietnamkrieg und gegen die USA) seien rational und durch eine gewisse Logik begründet gewesen. Die Tatsache, dass die RAF mit nachvollziehbaren Argumenten tötete, gebe der Gesellschaft eine gewisse Stabilität.
In den 70er Jahren unterstützten circa ein Viertel der damals 20 bis 30-jährigen Deutschen dei RAF. Auch heute existierten noch Sympathisanten der RAF.
Die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik bzw. der westlichen Demokratien, die durch den Sieg gegen den Terror entstand, ist ein weiterer Grund Dückers für das Wohlgefühl der Deutschen der RAF gegenüber.
Dückers schließt ihren Artikel mit dem ironischen Kommentar, die folgenden Terroristen sollten sich doch schon einmal die Fernsehrechte sichern.
Natürlich hat Dückers insofern Recht, als dass sich die Deutschen intensiv mit der Geschichte der RAF auseinandersetzten. Doch genau diese Auseinandersetzung ist für eine Gesellschaft auch enorm wichtig. Ohne Reflektion über Geschehenes in der Vergangenheit kann nichts geändert und vor allem nichts verbessert werden.
Die 68er Generation, aus der die RAF ursprünglich stammte, warfen ihren Eltern vor, nicht selbstkritisch über die eigenen Fehler im Nationalsozialismus nachzudenken. Stattdessen wurden die alten Zeiten vergessen und neu begonnen. Kapitalismus und neue bürgerliche Lebensformen standen im Mittelpunkt. Möglicherweise mag dies für die Kriegsgeneration am besten gewesen sein, dennoch kann man die Kritik der 68er Bewegung über fehlende Reflexion nachvollziehen.
40 Jahre nach dem entstandenen Wunsch nach mehr Selbstkritik greift nun Dückers die Deutschen gerade deshalb an. Plötzlich ist Kritik wieder ein Schritt in die Vergangenheit und Reflexion eine „modisch-historische Nebensächlichkeit“ (Z. 3). Wer sich mit Vergangenem beschäftigt, ist nur an Tratsch, Klatsch und an „coolen Sonnenbrillen der Meinhof“ (Z. 1) interessiert.
Doch möglicherweise ist auch genau dies die deutsche Art, mit der eigenen Geschichte umzugehen. Entweder es wird zu viel oder zu wenig gemacht. Selbst wenn irgendwann das richtige Maß gefunden ist (möglicherweise ist es auch schon gefunden) wird sich trotzdem weiterbeschwert und ewig weiterkritisiert.
Doch trotz allem hat Dückers damit Recht, dass sich die Deutschen auffallend häufig mit der Geschichte der RAF beschäftigen. Überraschenderweise handelt es sich bei Filmen oder Geschichten über die Terrorgruppe auch immer nur um die Motive und den Werdegang der Täter. Noch nie wurde ausführlicher über die Opfer und deren Leben berichtet. Obwohl die RAF 34 Morde verübte, kennt die Mehrheit nur den Namen Hanns Martin Schleyers, der von der Zweiten Generation der RAF entführt wurde, um unter anderem Baader, Ensslin und Raspe aus dem Gefängnis freizupressen. Andere Opfernamen sind kaum bekannt und interessieren wohl auch niemanden. Warum auch, wo sich die Geschichten der Täter auch viel besser verfilmen lassen als die der Opfer.
In der deutschen Gesellschaft existiert also eine gewisse Faszination für die Aktionen der RAF. Die Filme, Artikel und Bücher beweisen, dass sich die Deutschen gerne mit dem Thema RAF beschäftigen.
Diese Beschäftigung entstand allerdings nicht aus dem Wunsch über die Geschichte der RAF zu reflektieren, sondern dient größtenteils der Unterhaltung. Deutsche Top-Schauspieler wie Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu und Johanna Wokalek wurden für den neuen Film „Der Baader Meinhof Komplex“ engagiert, um die breite Masse in die Kinos zu locken und möglichst viel Gewinn zu erzielen.
Terrororganisationen in anderen Ländern, wie beispielsweise die ETA in Spanien, wurden sicher keine 20 Filme, acht Biografien und neun umfassende Darstellungen der Geschehnisse gewidmet.
Zu oft wird außer Acht gelassen, dass die RAF nichts anderes als eine Gruppe gefährlicher Krimineller war, die aus einer fixen Idee heraus das Leben vieler Deutscher aufs Spiel setzte.
Letztendlich bleibt auch die Frage, ob nicht gerade diese enorme Begeisterung ein Merkmal der Deutschen ist. Dass sich die Deutschen von faszinierenden Menschen und faszinierenden Aktivitäten beeindrucken lassen hat schon Adolf Hitler 75 Jahre zuvor eindrucksvoll bewiesen.
Meiner Meinung nach ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte der RAF im Speziellen und die Reflexion über die Vergangenheit im Allgemeinen durchaus wichtiger, als die Tatsachen totzuschweigen. Es muss eine gesunde Mischung zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft herrschen.
Ich stimme Dückers Aussage zu, dass sich die Deutschen zu intensiv mit der RAF beschäftigen. Denn der Grund hierfür ist - wie oben bereits erwähnt - der Wunsch nach Unterhaltung und nicht Reflexion.
Die Gewalttaten der RAF sollten für kommerzielle Zwecke nicht verwendet werden.
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